„Die Nachrichten werden über Facebook kommen“

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Auf Focus Online steht derzeit ein interessantes Interview mit Eric Alterman, Journalist, Blogger, und Professor über die Szene. Auch wenn man nicht alle seine Ansichten teilt, so ist es duraus lesenswert.

„Das Internet macht uns zu Demagogen“

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Journalist, Blogger, Professor: Eric Alterman kennt die Medienbranche aus vielen Perspektiven. Im Interview macht er dramatische Vorhersagen zur Zukunft des Journalismus.
FOCUS Online: Mr. Alterman, ist ein Ende der Medienkrise in Sicht?

Eric Alterman:
Ehrlich gesagt: nein. Ich lehre ja an der Universität Mediengeschichte – und die findet nun leider auf ziemlich traurige Weise ein Ende. Die erste amerikanische Tageszeitung wurde 1691 veröffentlicht. Doch jetzt wird vorhergesagt, dass die letzte Tageszeitung in Papierform in rund 30 Jahren erscheint. Die Krise ist für uns sehr real. Und es nicht nur eine Krise des Journalismus, sondern auch eine Krise der Demokratie. Journalismus macht Spaß und ist interessant. Aber genau genommen ist er nicht wichtig. Wichtig ist die Rolle, die der Journalismus für eine informierte Gesellschaft spielen kann und sollte. Eine Gesellschaft, die in der Lage sein muss, die Wahrheit über ihre Machthaber herauszufinden. Aber auch eine, die sich über ihre eigenen kulturellen Werte verständigt.

FOCUS Online: Das klingt nach Jürgen Habermas.

Alterman: Genau. Habermas sprach von einem offenen Raum. So gesehen hat der Journalismus zwei Funktionen: Zum einen muss er informieren, zum anderen Diskussionen und Debatten stimulieren. In Bezug auf die zweite Funktion hat das Internet zwar fantastische Möglichkeiten geschaffen, weil es Unmengen an Diskussionen heraufbeschworen hat und es ermöglicht, dass sich die Massen aktiv an der Demokratie beteiligen. Doch eine Debatten- und Diskussionskultur ohne vertrauenswürdige Informationen kann sehr gefährlich sein. Leider offenbart sich der größte Makel des Internets an seinem wirklich schlechten Einfluss auf die Informationsfunktion, die bislang von den klassischen Medien geleistet wurde.

FOCUS Online: Übertreiben Sie nicht ein wenig? Es gibt doch zahlreiche populäre Nachrichtenangebote im Netz.

Alterman:
Einerseits können sich die Menschen auf einmal näher mit Dingen auseinandersetzen, mit denen sie sich ansonsten nie beschäftigt hätten: Regierungen, Geschäfte, Umweltverschmutzung, Kriminalität, Korruption oder der weltweiten Unterdrückung, also Themen, die vielleicht gar nicht ans Tageslicht kommen würden, wenn sie nicht im Netz diskutiert würden. Das Problem ist andererseits, dass uns das Internet zu Demagogen macht. Demagogie ist vor allem dann fruchtbar, wenn wir nicht ausreichend auf Informationen zugreifen können. Und sobald die Tagespresse stirbt oder am Rande des Zusammenbruchs steht, was ja bei vielen großen amerikanischen Zeitungen schon längst der Fall ist, dann passiert genau das. Die Leute gewöhnen sich schnell an so etwas, das hat man zuletzt an der leidigen Diskussion über die Gesundheitsreform in den USA gesehen: Da wurde mit allen möglichen verrückten Behauptungen um sich geworfen. Präsident Obama wurde sogar mit Hitler verglichen! Widerstand? Fehlanzeige – zumindest nicht genug. Die Journalisten konnten dagegen mit ihren fundierten Stellungnahmen rein gar nichts ausrichten.

FOCUS Online: Das klingt aussichtlos. Für wie fatal halten Sie die Lage konkret?

Alterman:
Die „Los Angeles Times“ hat nur noch ungefähr die Hälfte der Mitarbeiter, die sie vor wenigen Jahren hatte. Die „Washington Post“ hat vielleicht noch einen Bruchteil mehr als die Hälfte, aber auch dort wurde stark gekürzt. Der „Boston Globe“ hat keinen einzigen Reporter für nationale oder internationale Themen mehr. Und das sind ja nur die prominentesten Beispiele. Es gab einmal eine Zeit, da standen all diese Tageszeitungen für eigene unabhängige Recherchen. Heutzutage können die verbleibenden Journalisten dieser Blätter nicht einmal mehr kleine Gemeinden ausreichend mit Informationen versorgen. Auch können sie sich nicht mehr Dingen widmen, die zu recherchieren einfach längere Zeit in Anspruch nimmt. Überall richtet sich die Presselandschaft aufs Siechtum ein, ob es nun die „San Diego Tribune“ ist oder der längst verkaufte Knight-Ridder-Verlag, dessen Journalisten für die differenzierteste Berichterstattung des Landes verantwortlich zeichneten. Heute gehört Knight Ridder der McClatchy Company, deren Aktien nur noch etwa fünf Prozent dessen wert sind, was sie vor der Übernahme erbracht haben. Es ist doch offenkundig, wo diese Entwicklung hinführt: Was als Erstes Schaden nehmen wird, ist die Demokratie in unserem Land.

FOCUS Online: Und wenn es dem Journalismus doch noch gelänge, journalistische Angebote im Internet zu monetarisieren?

Alterman: Wenn es denn so wäre, aber die wirtschaftlichen Begebenheiten des Internet machen es ja praktisch unmöglich, eine Basis für guten Nachrichtenjournalismus zu schaffen. Ich halte das für unmöglich. Um Ihnen einen Vergleich zu liefern: Man braucht wirtschaftlich gesehen zwanzig Internetnutzer, um einen Printleser zu ersetzen. Hinzu kommt, dass die Leser im Netz wieder sehr schnell verschwinden. Werbung im Internet ist spottbillig, nicht einmal annähernd auf dem Niveau des Printmarktes. Um den Karren aus dem Dreck zu ziehen müssten wir wissen, welche Richtung die richtige ist. Doch im Moment scheint sich alles in eine völlig falsche Richtung zu entwickeln – und niemand hat gute Ideen, um das zu verhindern.

FOCUS Online: Suchen Sie mit Ihren Studenten nach Auswegen?

Alterman: Ich nicht, aber eine Menge Kollegen, die an den Journalistikfakultäten und Journalistenschulen hier in den USA an neuen Konzepten und Modellen arbeiten. Aber ich persönlich finde das nicht sehr vielversprechend. Diese Leute arbeiten zwar hart an Lösungsoptionen, und ich wünsche ihnen nur das Beste, aber ich glaube, dass es allenfalls möglich ist, mit gemeinnützigen, nicht kommerziellen Angeboten zumindest auf einem niedrigen Level zu überleben. Mit Journalismus lässt sich einfach kein Geld mehr verdienen.

FOCUS Online: Wie verändert sich in Ihrer Perspektive das Journalistenhandwerk?

Alterman: Besorgniserregend finde ich, dass viele Journalisten heute nur noch dafür schreiben, möglichst viele Klicks auf einer Website zu generieren. Sie versuchen also möglichst viele Redewendungen zu benutzen, die ihre Seite bei der Google-Suche ganz nach oben pusht. Es geht um Aufmerksamkeit, nicht um fundierte Berichterstattung. Das ist keine gute Entwicklung. Ich meine, das Internet ist toll und ich verdiene einen Großteil meines Lebensunterhalts damit. Es ist zum Beispiel viel einfacher geworden zu recherchieren, und die Kommunikation hat sich verbessert. Aber es gibt auch viele negative Tendenzen, deren man sich bewusst sein muss.

FOCUS Online: Sehen Sie in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook eine Chance für journalistische Inhalte?

Alterman: Ja, durchaus. Junge Leute haben aufgehört, Zeitungen zu lesen. Diese wichtige Zielgruppe ist verloren. Und sie kommen auch nicht zurück, wenn sie älter werden. Das war ja lange Zeit die Hoffnung vieler Verleger. Wenn man diese Altersgruppe erreichen möchte, die ja bekanntlich für Marketingexperten am wichtigsten sind, darf man nicht warten, sondern muss sie dort abholen, wo sie sind. Und sie sind zum Beispiel auf Facebook. Twitter ist da nicht so entscheidend. Die Zahlen von Twitter zeigen, dass junge Leute es noch nicht wirklich nutzen. Sie probieren es aus, geben es dann aber relativ schnell wieder auf. Aber Facebook ist sehr beliebt. Ich habe zum Beispiel eine Facebook-Seite mit weit über 1000 sogenannten „Freunden“. Ich habe keinen davon jemals persönlich getroffen. Vielleicht 25 von ihnen, aber die sind dann auch wirklich enge Freunde von mir. Aber diese 1000 mit mir vernetzten Leute können all das lesen, was ich auf meiner Facebook-Profilseite veröffentliche.

FOCUS Online: Aber können Journalisten damit überhaupt Geld verdienen?

Alterman: Das ist schwierig, und man sollte an die Frage anders herangehen: So ist nun mal der Lauf der Dinge. Dorthin entwickelt sich die Öffentlichkeit derzeit. In Zukunft werden die Menschen ihre Nachrichten über Facebook bekommen, von Leuten, denen sie vertrauen. Alles wird viel individueller und das eigene personalisierte Image, das man selbst kreiert, wird immer wichtiger. Glücklicherweise bin ich im Hauptberuf Professor und habe ein gesichertes Einkommen und muss mich nicht auf diese unangenehme Weise prostituieren.

FOCUS Online: Bei allem Zynismus: Sie sind schließlich auch Journalist!

Alterman: Ich schreibe zwar eine Medienkolumne für das liberale, altehrwürdige Magazin „The Nation“ und noch für einige andere Titel. Auch schreibe ich Bücher und veröffentliche viel über die Situation und die Probleme des Journalismus. Aber ich muss zugeben, dass ich persönlich den wirtschaftlichen Schwierigkeiten lange entgehen konnte.

Medienbranche im Umbruch: Stumme Zeitungsverkäufer in den USA
Wie könnte denn der Journalismus zu seiner ursprünglichen Bestimmung, Gemeinden oder Gemeinschaften mit Informationen zu versorgen, zurückkehren?

Alterman: Der Community-Aspekt ist in der Tat wichtiger als je zuvor – nur auf ganz andere Weise. Die Leute vernetzen sich heute im Cyberspace, nicht mehr vor der Haustür. Es gibt ja eigentlich gar keine geografischen Gemeinden mehr, selbst auf nationaler Ebene ist das längst nicht mehr existent. Das ist auch der eigentliche Grund, warum der Journalismus stirbt: weil die Menschen nicht mehr in geopolitischen Zusammenhängen denken und leben. Sie leben förmlich im Internet, sie sind dadurch untereinander verknüpft. Die „New York Times“ ist eine nationale Zeitung, die man lesen muss, um zu erfahren, was in der Welt passiert. Aber das gibt es mittlerweile überall. Man braucht die Zeitung eigentlich nicht mehr, es sei denn aus Gewohnheit. Sie ist nicht einmal mehr annähernd so wichtig wie früher. Gemeinden waren das Rückgrat des Journalismus – und damit meine ich nicht nur die Leserschaft, sondern die Gemeinde der lokalen Werbekunden. Diese regionalen Communitys sind dem Internet als Erstes zum Opfer gefallen.

Wie können Berichterstatter in einem solchen Umfeld ihr Selbstwertgefühl bewahren?

Alterman:
Na ja, die journalistische Identität leidet in erster Linie, weil Journalisten nicht mehr so wichtig sind, wie sie es einmal waren. Das ist ein klassischer Bedeutungsverlust. Früher war es doch so, dass Korrespondenten der „New York Times“ oder des „Time Magazine“ in Berlin oder Paris wie Botschafter hofiert wurden. Die waren superwichtig! Und jetzt sind Journalisten nichts weiter als zerknirschte Wichtigtuer, die künstlich versuchen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie haben nur noch eine von vielen Stimmen, die im Getöse der Massen leicht überhört wird. Früher hatten die Redakteure des „Time Magazine“ ihre Sekretärinnen, Assistenten, sogar einen Butler, einen Koch und einen Fahrer. Und inzwischen können manche kaum noch ihre Miete bezahlen.

FOCUS Online: Aber wo führt das alles hin?

Alterman: Das weiß niemand. Ich glaube, dass der einzige Weg noch etwas zu retten, darin besteht, dass Hochschulen, Thinktanks oder Stiftungen verstehen, wie viel geistiges und demokratisches Potenzial in Tageszeitungen steckt und ganz einfach die unprofitablen Teile, mit denen einfach kein Geld zu verdienen ist, übernehmen. Manche Dinge werden ja auch im Web profitabel bleiben: So was wie Sport oder Promi-Geschichten, also all das Zeug, das politisch nicht wirklich zählt, aber dazu beigetragen hat, Zeitungen zu verkaufen. Nur für die Themen, die sich finanziell nicht selbst tragen können wie Berichte aus Afghanistan oder Irak, brauchen wir nun mal die festen Säulen der Gesellschaft, die sich aufraffen und den Wert dieser Themen erkennen und schützen. Leider tun sich insbesondere Universitäten schwer mit der Journalismuskultur. Sie bewegen sich in einem weitaus langsameren Tempo und mögen es, wenn alles sehr kontrolliert abläuft. Da passt Journalismus offenbar nicht ins Schema.

FOCUS Online:
Und am Ende wird die demokratische Grundordnung kollabieren?

Alterman:
Nein, wollen wir mal nicht zu schwarzmalerisch werden. Aber die Demokratie wird einige Schrammen abbekommen und auch Einschränkungen erfahren. Unser politisches System wird auch viel einfacher zu manipulieren sein. Erinnern wir uns daran, dass die Vereinigten Staaten in einen Krieg geführt wurden, obwohl wir zu jener Zeit noch starke Zeitungen hatten. Wie wird es erst sein, wenn sich die Schwächen der Presse weiter verschlimmern? Die Gefahr besteht darin, dass wir eine sehr viel korruptere Regierung bekommen könnten. Und wenn wir das Problem allgemeiner betrachten: Diktatoren kommen in einer Öffentlichkeit ohne starke Presse mit vielen Dingen sehr viel leichter durch. Das wird also eher wie in einer Dritten-Welt-Gesellschaft sein.

ZUR PERSON

Eric Alterman, Jahrgang 1960, studierte Politikgeschichte und Internationale Beziehungen an den Universitäten Cornell und Yale und promovierte in Geschichte an der Universität von Stanford. Seit 1983 arbeitet er als freier Autor und Publizist. Seine Texte erschienen unter anderem in „Vanity Fair“, „The Nation“, „Time Magazine“ und „Le Monde Diplomatique“. Seit 1995 ist er Medienkolumnist bei „The Nation“. 2007 wurde Alterman als Professor für Journalismus und Englisch an die City University of New York berufen, wo er bereits seit 2004 Medienwissenschaft und Mediengeschichte lehrte. Alterman hat acht Bücher veröffentlicht, sein neuestes Buch „Why We‘re Liberals: A Handbook for Restoring America´s Most Important Ideals“ erschien Anfang 2009.

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