über Mediziner-Migration schreibt die Welt:
Warum so viele Ärzte Deutschland verlassen
Deutschlands Mediziner klagen über schlechte Bedingungen ihrer Arbeit. Laut Berufsverbänden verlassen deshalb immer mehr Ärzte ihre Heimat. Ein Zahnarzt berichtet auf WELT ONLINE, warum er in einer norwegischen Kleinstadt ein neues Leben anfängt.
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Land der besseren Möglichkeiten: Viele Ärzte aus Deutschland erwägen, nach Norwegen auszuwandern
Als Norweger geht Michael Kellner jetzt schon durch. Die blonden Haare, das rollende bayerische R, das auch das Norwegische kennt, das Funktionsjacken-Outfit: Wenn er norwegischen Boden betritt, wird der junge Zahnarzt aus Regensburg gleich dazu gehören. Dafür haben auch die Behörden des skandinavischen Landes gesorgt. Qualifizierte Einwanderer wie der 28-Jährige werden mit offenen Armen empfangen.
Deutschland tut sich dagegen schwer, wenn es um die Anwerbung ausländischer Spezialisten geht. Die aktuelle Diskussion um die Einführung der Blue Card zeigt es: Die Angst vor einer Überforderung des heimischen Arbeitsmarkts ist größer als die Vernunft. Längst fehlen der Industrie Ingenieure und Computer-Spezialisten. Auch von Medizinerschwemme kann nicht mehr die Rede sein. „In den nächsten Jahren werden viele Ärzte in Pension gehen, dann wird es sich rächen, dass zu wenig in die universitäre Ausbildung und in die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Ärzte investiert wurde“, sagt Günter Kau, Präsident des Bundesverbandes der Allgemeinzahnärzte.
Michael Kellner erinnert sich nicht gern an sein Studium in Regensburg. „Als Student bist du in der Klinik der letzte Depp. Die Professoren sind kritikunfähig und herrschsüchtig, dabei fachlich oft nicht einmal fit. Als Assistenzarzt ergeht es einem später genauso.“ Bald nach seinem Abschluss im vergangenen November hat sich Kellner überlegt, wie er ausbrechen könnte. Im März 2007 las er in den „Zahnärztlichen Mitteilungen“ ein Inserat. Norwegen suchte Leute wie ihn.
Doppelt so viel Gehalt wie in Deutschland
Von Steuererleichterung war die Rede, von 36-Stunden-Woche, Nebenverdienstmöglichkeiten, von einem Grundgehalt von 5000 Euro – das Doppelte eines Berufseinsteigers hierzulande. Seine Abenteuerlust und Neugier war geweckt. Ein Lebenslauf in englischer Sprache, Foto und Kopien der Zeugnisse, mehr war nicht verlangt. Schon Ende April wurde er mit 20 anderen nach Hamburg eingeladen, zum Informationstag mit Vertretern der Fylker. So heißen in Norwegen die Regierungsbezirke. „Ich hatte das Gefühl, dass man wirklich an mir interessiert war. Besonders die Vertreterin der Finnmark im höchsten Norden legte sich mächtig ins Zeug. Noch heute bekomme ich E-Mails von ihr, in denen es heißt: Wenn Sie kommen, kriegen Sie den Lohn, den Sie sich wünschen“, sagt Kellner.
Viele Regionen in Norwegen leiden unter der Abwanderung der Bevölkerung. Es ist eine Situation ganz ähnlich derjenigen in Ostdeutschland. Nur sind die natürlichen Bedingungen in Norwegen krasser. Ein halbes Jahr herrscht in der Finnmark absolute Dunkelheit. Doch Norwegen tut alles, um den Menschen in diesen Gebieten ausreichende medizinische Versorgung zu bieten, auch deshalb wird um deutsche Zahnärzte geworben.
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Michael Kellner hat sich aber doch nicht für die Finnmark entschließen können. Die Fylke Møre og Romsdal ist es geworden. Die Region liegt an der Westküste. Dort gibt es Fjorde, Meer und Berge, wovon sich Kellner während eines dreitägigen finanzierten Besuchs überzeugen konnte. „Ich liebe es, auf Berge zu steigen. Gleich hinter der Küste beginnt das Gebirge. Außerdem mochte ich die kleine Klinik bei der Stadt Ålesund und fühlte mich gut aufgehoben. Die Zusage fiel mir am Ende leicht.“
Auch erfahrene Ärzte verlassen Deutschland
Es sind längst nicht nur Berufsanfänger wie er, die Deutschland verlassen. „Die größte Altersgruppe stellen Leute zwischen 30 und 35 Jahren. Wir haben aber auch erfahrene Ärzte um die 40 im Programm“, sagt Kirsti Lumban-Tobing, die im Auftrag des norwegischen Staats die Mediziner warb. „Die Flucht vor Stress ist eine der am häufigsten genannten Motivationen, warum jemand zu uns kommt. Wir sagen den Ärzten von Anfang an, dass sie sich für Behandlungen die Zeit nehmen sollen, die sie brauchen.“ Manche haben die Möglichkeit, Klinikräume anzumieten, um außerhalb ihrer gesetzlichen Zeiten Privatpatienten zu versorgen.
Was die Leute hält, ist auch das kollegiale Umfeld, egal ob Arzt oder Helferin, alle duzen sich. Pro Jahr vermittelt Kirsti Lumban-Tobing etwa 30 Deutsche nach Norwegen. „Deutsche sind als Fachkräfte geschätzt.“ 75 Prozent derjenigen, die sie im Laufe der Jahre nach Skandinavien holte, blieben. Von seinen Kollegen hat Michael Kellner nur Positives gehört: „Ich habe sechs deutsche Zahnärzte getroffen. Viele dachten, sie bleiben nur ein, zwei Jahre. Doch die Frau, die am kürzesten in Norwegen ist, lebt dort jetzt auch schon über vier Jahre.“
Am 26. Oktober beendet Michael Kellner seinen Norwegisch-Kurs in Berlin. Unterkunft, Sprachschule, Lebensunterhalt, alles wurde gezahlt. In einer Woche geht die Fähre. Seine Wohnung liegt